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Die Welt be-greifen. Beißen als spürender Impuls.

VON DR. UDO BAER

Die Frage eines Vaters:

„Unser Sohn ist drei. Er soll bald in den Kindergarten. Doch immer, wenn er mit anderen Kinder zusammen ist, beißt er sie. Er hat gar kein Gefühl dafür, dass das wehtut und wie das wehtut. Wir haben schon geschimpft und alles Mögliche versucht, um ihn davon abzubringen.  Aber es gelingt uns nicht. Wir sind ratlos. Was können wir tun?“

Die Antwort von Dr. Udo Baer auf die gestellte Frage:

Ihre Sorgen können wir verstehen. Sie sind damit nicht alleine. Es gibt grundlegende Impulse der Kinder (und nicht nur dieser), die wir „spürende Begegnungen“ nennen. Dazu gehört das Greifen. Kinder greifen in die Welt, fassen alles an, lassen es wieder fallen, berühren es und erschließen sich damit den Zugang zu Ihrer Umgebung, zu Ihrer Lebenswelt. Wenn die Kinder klein sind, greifen sie nicht nur mit den Händen, sondern auch mit den Füßen und mit dem Mund. Das Grundprinzip ist das Gleiche, egal, womit sie greifen. Sie greifen nach allem und jenem, um es sich anzueignen, um es zu spüren und erschließen sich so die Welt. Sie begreifen die Welt.

Das Beißen Ihres Kindes ist ein Teil dieser primären Leitbewegung Greifen. Es greift mit dem Mund und bekommt noch Belohnung durch besondere Aufmerksamkeit. Ihr Kind ist wirksam. Wenn es greift, passiert etwas. Sie selbst als Vater reagieren, die Mutter, das andere Kind, wer noch immer dabei ist. Es gibt Action. Womit kann Ihr Kind so wirkungsvoll sein wie mit dem Beißen? Es funktioniert. Doch ursprünglich ist das Beißen Ihres Kindes gar nicht auf die Wirkung aus. Es ist wahrscheinlich nur ein Teil des Greifens in die Welt. Nur dass es bei Ihrem Kind, wie bei manchen anderen Kindern, im besonderen Maße über das Beißen und nicht vor allem über die Hände und die Füße geht.

Ich habe zwei Tipps:

1) Geben Sie Ihrem Kind so vieles wie möglich, was es mit den Händen greifen kann: Festes und Weiches, Lautes und Leises, Dinge zum Zerreißen, zum Knuddeln, zum Knöttern, zum Schlagen, zum Fallenlassen usw. Es muss nicht nur Spielzeug sein, es können auch Stoffe, Zeitungspapier, alte Bücher usw. genutzt werden. Wir haben oft beobachtet, dass in dem Maße, wie die Kinder mit den Händen greifen, das Greifen mit dem Mund, also das Beißen nachlässt.

2) Der zweite Tipp besteht darin, dass Sie Ihr Kind zurückbeißen. Mit aller Vorsicht und Zärtlichkeit. Auf selbstverständliche Weise zeigen Sie Ihrem Kind, dass Beißen auch ein wenig wehtun kann. Knabbern Sie als an Ihrem Kind statt an Erdnüssen. … In jedem Fall machen Sie daraus ein Spiel mit gegenseitigem Drücken, gegenseitigem Kitzeln, gegenseitigem Knabbern und Beißen. Damit verlagert sich die Aufmerksamkeit, die das Kind schaffen kann, auf eine positive Begegnung mit Ihnen und nicht auf etwas, was nur Entsetzen und Bestrafung hervorruft.

Ob diese Hinweise bei Ihrem Kind wirken, weiß ich nicht. Ich hoffe es. Probiere Sie es aus.

Herzlich

Dr. Udo Baer 

für die DIXI Family-Academy