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Wer nicht hinfallen darf, lernt nicht aufzustehen

VON DR. UDO BAER

Meine Tochter Stephanie ist sechs Jahre alt. Ich mache mir große Sorgen, dass sie unvorsichtig ist. Ich passe auf, dass Stephanie keine großen Risiken eingeht und nichts Unbedachtes unternimmt, wenn sie draußen ist. Doch meine Tochter wird immer störrischer mir gegenüber. Sie sagt: „Mama, du nervst!“ Und gleichzeitig merke ich, dass sie immer ängstlicher wird. Ich will nichts falsch machen, was soll ich tun? (Elisabeth Ä.)

Ihre Absicht ist löblich. Es ist gut, wenn Eltern – Mütter wie Väter – auf ihre Kinder aufpassen und sie schützen. Doch wie so oft geht es auch hier um das richtige Maß.

Kinder lernen nicht nur dadurch, was Eltern sagen, sondern auch, was sie ausstrahlen. Sie strahlen Angst aus. Damit stecken Sie Stephanie an, auch wenn Sie das nicht wollen. Stephanie wird so immer ängstlicher und immer zurückhaltender. Wenn das so weitergeht, wird sie sich irgendwann gar nicht mehr trauen, allein draußen zu spielen.

Wir Eltern müssen verstehen: Kinder müssen fallen dürfen, damit sie lernen, wieder aufzustehen. Wer nicht das Risiko eingeht, auf Holzbalken am Rande des Sandkastens zu balancieren, weil die Eltern Angst haben, hinzufallen, wird dies nie lernen. Wir müssen den Kindern die Möglichkeit geben, in dem, was sie tun, Ungemach zu erleiden. Wenn wir das nicht tun, spüren sie, dass wir ihnen nichts zutrauen. Wenn wir sie zu sehr einengen, erlischt oder erlahmt ihr Spiel- oder Entdeckungstrieb. Wenn wir sie zu sehr vor Gefahren bewahren wollen, dann erreichen wir nur, dass sie angstvoll werden.

Selbstverständlich brauchen Kinder ein beschützendes elterliches Gegenüber, brauchen sie Menschen, die ihnen zeigen, was geht und was nicht geht, worauf sie aufpassen müssen und dergleichen mehr. Und selbstverständlich strahlt dabei auch immer etwas von der Ängstlichkeit der Eltern ab und nicht nur von der großen Fürsorge. Doch die Haltung, die ich Ihnen empfehle, ist die Haltung des großen UND. Wir haben Sorgen um unsere Kinder UND wir lassen ihnen den Spielraum. Wir wollen sie beschützen UND wir vertrauen ihnen, dass sie ihren eigenen Weg gehen.  Gehen Sie das Risiko ein, dass Stephanie hinfällt, damit sie auch lernt, wieder aufzustehen. Ihr Verhalten wird sich dadurch verändern. Sie wird nach und nach wagemutiger und schließlich sicherer werden in dem, wie sie sich in ihrer Welt bewegt.

Herzlich

Dr. Udo Baer 

für die DIXI Family-Academy